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Stellungnahme ReVerBi


Stellungnahme der Revolte gegen die Vermarktlichung des Bildungswesens


Wir, die ReVerBi (Revolte gegen die Vermarktlichung des Bildungswesens), sprechen uns gegen die Sparmaßnahmen der letzten Jahre am Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg aus. Diese sind das Ergebnis jahrzehntelanger marktorientierter Politik und jahrelanger Einsparungsmaßnahmen, die immer mehr zur Vermarktlichung von Wissen und Bildung geführt haben - Wissen sollte aber keine Ware sein! Aufgrund der akuten Verschärfung der Einsparmaßnahmen treten wir, die ReVerBi, diesen laut und deutlich und mit aller Vehemenz entschlossen entgegen!


1. Kontext

Schon die Bologna-Reform 1999 ist das Ergebnis einer Tendenz, die Wissen nicht als Gemeinschaftswohl, sondern als Wettbewerbsgegenstand definiert. Aus ihr folgt eine Vereinheitlichung der Studiengänge, welche unter anderem zu einer zu kurzen Studienzeit führt, die die Möglichkeit einer akademischen Tiefe und die tief gehende Auseinandersetzung mit dem eigenen Fach unmöglich macht. Statt den Fokus auf die Wissenschaftsorientierung zu legen, solle vielmehr die Beschäftigungsfähigkeit der Absolvent*innen am Arbeitsmarkt Priorität haben. Hinzu kommt, dass die Universitäten auf eine Finanzierung durch Drittmittel angewiesen sind: Dabei erhalten allerdings nicht alle Fachbereiche die gleiche Unterstützung. Die Gesellschaftswissenschaften z. B., unterliegen bei kritischer Lehre und Forschung nicht denselben Verwertungslogiken und sind im Drittmittelwettbewerb dementsprechend strukturell benachteiligt. Auch in diesem Fall basiert die Verteilung der Finanzmittel also auf Marktinteressen. Dass den Bereichen, die nicht als marktrelevant angesehen werden, nach und nach immer weitreichender finanzielle Mittel fehlen, war über den Zeitraum der letzten 21 Jahre zu beobachten und ist demnach nichts Neues. Es ist daher auch nicht sonderlich verwunderlich, dass seit einiger Zeit vor allem die gesellschaftswissenschaftlichen Studiengänge an verschiedenen Universitäten chronisch unterfinanziert sind. Das Defizit von ca. 11 Millionen Euro, welches der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften- und Philosophie an der Philipps-Universität Marburg über die Jahre angehäuft hat, konnte nur entstehen, weil sowohl der Aufbau der Lehre als auch dessen Finanzierung im Generellen strukturell völlig falsch angegangen und gehandhabt wird. Auch wenn es uns, die Studierenden des Fachbereiches der Gesellschaftswissenschaften und Philosophie, nicht sonderlich erstaunt hat, dass gerade an unserem Fachbereich diese strukturelle Unterfinanzierung extrem ist, ist die Art und Weise, an die Problematik ranzugehen, dennoch schockierend. Der Beschluss, die sowieso schon knappen Gelder weiterhin zu kürzen, suggeriert, dass wir dieses Defizit als Fachbereich, selbst zu verantworten haben. Das ist ein fataler Fehlschluss, dem wir als Bündnis entgegentreten wollen.


2. Schilderung der aktuellen Lage und Situation am Fachbereich 03

Überfüllte Seminare, sowie eine unzureichende Betreuung durch die Lehrenden sind schon in den letzten Jahren ein unübersehbares Problem gewesen. Seminare mit bis zu 100 Teilnehmenden können nicht mehr diesen Titel tragen und bei 40 Studierenden im ersten Semester in Tutorien - wie soll da Lehre und Informationsfluss gut funktionieren? Seminare in aktueller Größe bedeuten einen massiven Qualitätsverlust der Lehre. Eine gute Betreuung durch die Lehrenden kann demnach ohnehin nicht mehr ausreichend gewährleistet werden. Mit den geplanten Sparmaßnahmen wird die eh schon prekäre Lage ignoriert und das Defizit in Form von Druck und Überlastung konsequent auf die Studierenden und den Mittelbau übertragen. Anstatt die Qualität der Lehre zu garantieren, liegt der Fokus viel mehr darauf, immer mehr Studierende in immer kürzerer Zeit für den Arbeitsmarkt 'fit zu machen'.

Zudem wird das Problem individualisiert. Durch Workshopangebote zur Selbstoptimierung und Handhabung von Burnouts wird den Studierenden suggeriert, dass sie selbst das Problem seien. Viele Studierende teilen die Erfahrung der dauerhaften Überlastung, wodurch es eine vermeintlich unveränderbare, schon immer so gewesene, Realität zu sein scheint. Von Dozierenden und ehemaligen Vor-Bologna-Studierenden, wissen wir, dass es aber auch anders geht. Durch Corona und die daraus resultierende Umstellung auf Online-Lehre haben sich viele der genannten Problematiken nochmals verschärft. Die fehlende Betreuung durch das Lehrpersonal konnte während der Präsenz-Lehre durch den Austausch unter Studierenden zumindest etwas abgefangen werden. Durch die Online-Lehre fiel das endgültig weg und die Auswirkungen für Studierende sind deutlich spürbar. In der Zeit der Online-Lehre, die ohnehin nach mehr Betreuung verlangt, greifen die geplanten Sparmaßnahmen schon im kommenden Semester. Diese werden langfristig fatale Folgen für die Lehre nach sich ziehen. Eine Reihe von Entlassungen und nicht wieder neu besetzbaren Stellen, sind nur der Anfang. Durch die Stellenstreichungen soll erst einmal bewirkt werden, dass das Defizit des FB03 nicht weiter ansteigt. Die Sparmaßnahmen müssen in den nächsten Jahren allerdings noch verstärkt werden, um das Defizit letztendlich zu verringern. Abgesehen von fehlenden Stellen des Mittelbaus, welche das immer größer werden der Seminare und einen Qualitätsverlust zur Folge haben werden die Stellen für die Tutorien ebenfalls in großer Zahl gestrichen. In den Tutorien wurde bisher den Studierenden die Möglichkeit gegeben, erste Erfahrungen in der Lehre zu sammeln. Damit sind sie für die Studierenden in den ersten Semestern extrem wichtig um die Grundlagen detailliert aufzuarbeiten und verstehen zu können. Wenn nicht einmal die Grundlagen des Studiums angemessen vermittelt werden können, dann zieht das Folgen nach sich, die in ihrem Ausmaß jetzt noch nicht vorstellbar sind. All diese Kritik soll nicht bedeuten, dass wir einer Umstrukturierung entgegenstehen. Diese sollte allerdings dem Erhalt und der Verbesserung der Lehre dienen und nicht zu Lasten der Lehrenden und Studierenden durchgesetzt werden.


3. Unsere Forderungen

Es ist an der Zeit uns Gehör zu verschaffen, die verstrickte Bildungspolitik aufzubrechen und die sich seit Jahren abzeichnende Problematik der marktorientierten Finanzierung sichtbar zu machen. Aus diesem Grund werden wir nun zuerst ein Sofortprogramm formulieren und diesem unsere mittel- und langfristigen Forderungen an den Fachbereich, an die Universität und an das Land Hessen anfügen.


Darum fordern wir:


Als Sofortprogramm:

- Sofortiger Stopp der Einsparmaßnahmen im Fachbereich 03. Der Fachbereich leistet einen

wertvollen Beitrag zur Krisenlösung! Daher gehört der Fachbereich ausgebaut und bedarfsorientiert ausfinanziert statt eingedämmt!

- Sofortige Öffnung des Bafögs für alle als Vollzuschuss statt Studienkredite und hochbürokratische "Überbrückungshilfen"

- massive Reduktion der Prüfungslast, damit Prüfungen zur Rückmeldung im Lernprozess statt zur Selektion für die Verwertung werden

- universitätsweite Themensemester, welche durch Zusammenarbeit unter einer gemeinsamen Fragestellung zur Lösung der drängenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit – ökologisch nachhaltiges Wirtschaften, Fluchtursachenbekämpfung, zivile Konfliktlösungen und soziale Ungleichheit beitragen


vom Präsidium:

- die Rücknahme der Sparmaßnahmen (Stellensperren)

- zurück zu 3 Jahresverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, um eine gute Betreuung der Studierenden zu garantieren

- die Erarbeitung realistischer Finanzierungsmöglichkeiten im Interesse des FB 03, die nicht auf Kosten von Lehre und Forschung gehen

- keine Delegierung der Verantwortung für die Finanzierung allein an den Fachbereich, damit nicht die einzelnen Fächer gehalten sind, um die knappen Mittel zu konkurrieren!

- Einsetzung für angemessene Seminargrößen: UNTER 30 Leute

- Anerkennung der Wichtigkeit des Fachbereiches Gesellschaftswissenschaften und Philosophie für Wissenschaft und Gesellschaft und für den Universitätsstandpunkt Marburg


vom Fachbereich 03:

- wir fordern, dass der Fachbereich bzgl. der Neuverteilung der Gelder keine Konkurrenzsituation zwischen einzelnen Instituten schafft und sich stattdessen aktiv gegen die Sparmaßnahmen stellt

- Ausbau von Projektstudien, in denen über einen längeren Zeitraum kooperativ und in forschendem Lernen und lernendem Forschen eine Fragestellung mit gesellschaftlicher Bedeutung vertieft werden kann

- massive Reduktion der Prüfungslast, damit Prüfungen zur Rückmeldung im Lernprozess statt zur Selektion für die Verwertung werden

- Stärkung der Orientierungseinheiten als integraler Bestandteil des Studiums


vom Land Hessen:

- Anpassung der CN-Werte (für eine bedarfsgerechte Unifinanzierung)

- Abkehr von temporärer und wettbewerbsförmiger Mittelzuweisung (u. a. Drittmittel und

Exzellenzstrategie) hin zu Dauermitteln (Grundfinanzierung der Fachbereiche)

- demokratische Mittelvergabe anhand gesellschaftlicher Herausforderungen/wissenschaftlicher Fragestellung und Entwicklungsnotwendigkeiten statt leistungsbezogene und damit konkurrenzschürende Mittelvergabe

- Recht auf Wohnen durch die Ausfinanzierung und Demokratisierung der Studierendenwerke

- Tarifverträge für alle studentischen Beschäftigten und unbefristete Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau


Mittel- und langfristige Ziele:

- Verlängerung der Regelstudienzeit, zum Abbau des Leistungsdrucks und zur Wiederherstellung der akademischen Tiefe

- Aufhebung der Regelstudienzeit insbesondere für Studierende, die Bafög beziehen

- Aufhebung feststehender Modulpläne, um die Individualität der Studieninhalte zu ermöglichen

- demokratische, Gemeinwohl-orientierte Forschungsförderung statt Exzellenzstrategie für Standortinteressen

- kombinierte Bachelor- und Masterzulassungen bzw. Master als Regelabschluss

- Abschaffung des Numerus Clausus und den Ausbau der Möglichkeiten des Hochschulzugangs ohne Abitur

- Abschaffung von Creditpoints und Benotungen

- gerechte und gleichgestellte Besetzung der Berufungskommissionen


Wir fordern nachdrücklich einen Stopp der Einsparmaßnahmen und rufen dazu auf, sich der Vermarktlichung des Bildungswesens entgegenzustellen!


Kontakt:

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Fachschaften:

https://www.uni-marburg.de/de/fb03/soziologie/studium/fachschaft

https://www.uni-marburg.de/de/fb03/politikwissenschaft/studium/fachschaft

http://fachschaft-ksa.blogspot.com/


SDS:

https://sds-marburg.de/



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